2023/2024
Alles was Recht ist
Schreibworkshop
Alles was Recht ist
Schreibworkshop
Das Projekt führt Akteur*innen aus unterschiedlichen Bereichen der Stadt Minden zusammen. Deutsche, Geflüchtete, Männer und Frauen, ältere und jüngere Menschen, queer oder nicht-queer führen mit Fachleuten aus dem Rechtsleben einen gemeinsamen Diskurs zu gesellschaftlichen Fragen.
Das Verständnis für die unterschiedliche Prägung von Menschen wird sich entwickeln, sowohl für die eigene wie auch für die der anderen. Dies fördert das gegenseitige Verstehen und die Toleranz. Durch die Kommunikation werden Unsicherheiten und Ängste im Umgang mit den Institutionen aufgelöst und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Die eigene Schreibarbeit der Teilnehmer*innen regt schriftliche und bildhafte Formen des Ausdrucks an. Die Erfahrung des respektvollen Umgangs durch andere beim eigenen Vorlesen macht Mut machen, das eigene Potential zu entfalten und gesellschaftliche Fragen selbst zu gestalten.
In jedem einzelnen Workshop nehmen wir Fragestellungen von deutschen und arabischstämmigen Teil-nehmer*innen aus geförderten Projekten des Jahres 2022 auf, z.B. zum „arabischen Frühling“. Deutsches Recht und arabisches Recht werden zu mehreren Themen in ihren Unterschieden gegenübergestellt, z.B. „Wie unabhängig bin ich als Frau?“ oder „Bin ich frei in meiner sexuellen Orientierung?“
Die Teilnehmer*innen werden ihre Bewertungen und eigene Erfahrungen niederschreiben, anschließend vortragen und darüber diskutieren: „Wie bin ich eigentlich geprägt worden, und welcher rechtliche Weg überzeugt mich?“.
Das BÜZ bekommt es mit der Polizei zu tun
12.06.2024
Was war denn da los? Nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil – beim letzten Termin der aktuellen Reihe im Rahmen der kulturellen Bildung „Alles was Recht ist“ hatten Peter Küstermann, der Mentor der soziokulturellen Workshops und Volker Papke-Oldenburg, der die Reihe leitet, ganz besondere Referierende ins BÜZ geladen: Die Mindener Kriminaloberkommissarin Doris Rohlfing sowie ihre beiden uniformierten Kollegen Polizeihauptkommissar Stephan Schröder und Polizeioberkommissar Sascha Wandtke gaben sich die Ehre, um den Anwesenden zu ihrem Beruf Rede und Antwort zu stehen.
Peter und Volker gaben zunächst einen kleinen Überblick über die Inhalte der bisherigen Termine der Reihe, in denen es vor allem ja auch um die Gewaltenteilung in unserem bundesrepublikanisch-demokratischen System ging. Legislative und Judikative waren schon vorgestellt worden, die „Exekutive zum Anfassen“ gab es in Form des Polizei-Trios an diesem Donnerstag, den 13. Juni ab 14.30 Uhr im Mehrzweckraum des BÜZ zu erleben.
Schon bei der Vorstellungsrunde ergab sich, dass die Teilnehmenden, vornehmlich bestehend aus den beiden Hauptgruppen der jungen Geflüchteten und der meist älteren Einheimischen aus insgesamt sieben Ländern stammten: neben Deutschland waren dies Kirgisistan, Syrien, Marokko, Algerien, Tunesien und Afghanistan. Alle, jung wie alt, beteuerten unisono, mit der Polizei, wenn überhaupt, dann noch nie anders als wegen kleiner Verkehrsdelikte in Kontakt gekommen zu sein: Falschparken, Geschwindigkeitsübertretung, mit dem E-Scooter durch die Fußgängerzone – na, das kann ja mal vorkommen. Aber dass, wie einer der Polizisten berichtete, allein 1.500 Fahrräder jedes Jahr in Minden geklaut werden, erstaunte die meisten dann doch.
Doris Rohlfing, die im Bereich der Kriminalprävention und des Opferschutzes tätig ist und ihre beiden Kollegen Schröder und Wandtke, die von der Innenstadtwache aus unterwegs sind, gaben vielfältige Einblicke in Ausbildung und Arbeitsalltag der Polizei – so haben etwa alle, ob auf Streife oder im Kriminaldienst, die gleiche Grundausbildung, die mindestens einen Realschulabschluss mit anschließendem Besuch einer Fachoberschule innerhalb der Polizeiausbildung erfordert. Für Interessierte gibt es speziell geschulte Einstellungsberater bei der Polizei. Ob es um den Unterschied zwischen Straftatbestand und Ordnungswidrigkeit oder um die Frage ging, wie man nach Feierabend mit den teilweise belastenden Vorkommnissen im Alltag umgeht, die drei erteilten bereitwillig Auskunft.
So ergab sich denn auch, dass in den letzten Jahren das Aggressionspotenzial der „Kundschaft“ der Polizei doch spürbar gestiegen sei, sowohl verbal durch eine rauer werdende Wortwahl als auch durch eine größere Anzahl an Delikten, bei denen Messer und Schusswaffen zum Einsatz gekommen seien. Glücklicherweise musste noch keiner der drei tatsächlich auf einen Menschen schießen – bis jetzt. Dabei gebe es laut ihrer Auskunft keine besonders auffälligen Tätergruppen, was die Herkunft betreffe – und somit auch kein „racial profiling“.
In der Schreibphase des Workshops, nach Kaffee und Kuchen für alle, entstanden wieder kleine eigene Texte der Teilnehmenden, die sich in Form von Geschichten, Erlebnisberichten und sogar kleinen Gedichten mit den Themen des Nachmittags befassten.
Die Abschlussrunde ergab unter anderem, dass viele der Älteren das Uniformgrün von früher vermissten. Die dunklen Uniformen von heute schüfen Distanz und wohl auch eine diffuse Form von Furcht – was sich etwas irritierenderweise umgekehrt proportional zu dem von den drei referierenden Gästen konstatierten Autoritätsverlust ihres Berufsstandes verhielt. Wie auch immer: alle Anwesenden bedankten sich für den offenen und freimütigen Austausch – ein insgesamt sehr gelungener Abschluss der Reihe „Alles, was Recht ist“.
(Marcus Neuert)
Alles was RECHT ist
Beiges Hemd und grüne Hose,
friedlich kamen sie daher.
Deutscher Schäferhund treu an der Seite,
die Idylle ist lang her.
Heute tragen sie marine,
wie ein düst`res SWAT-Komitee.
Friede, Freude, Eierkuchen,
leider lange schon passé.
Was wird uns die Zukunft bringen?
Höre schon die Pessimisten singen:
Ja der Staat, der dient uns nicht.
Warum über wir nicht Verzicht?
Das Nachspiel
19.04.2024
Der Gerichtstermin vom 05. Februar wirkte bei etlichen Teilnehmenden noch recht intensiv nach. Der Moderator der Reihe „Alles was Recht ist“, Volker Papke-Oldenburg und der BÜZ Koordinator der soziokulturellen Projekte Peter Küstermann hatten daher schon im Vorfeld die Idee gehabt, den Termin für die vielen Interessierten, die beim Live-Geschehen der Verhandlung nicht mit dabei sein konnten, durch einige der Besucher nachspielen zu lassen – basierend auf den tatsächlichen Abläufen, wie Birgit Oldenburg und Aljona Hubert sie in den vorangegangenen Berichten bereits beschrieben haben.
Zu den häufig anwesenden „All Time Regulars“, also den BÜZ-Senioren und den Kulturscouts, gab es diesmal Besuch von mehreren Mitgliedern der in Minden beheimateten Stiftung Club 74, einer Einrichtung zur Erhaltung der gemeindenahen psychiatrischen Versorgungsstruktur sowie zweier Personen mit eigener Gerichtsbiografie: einer pensionierten Verwaltungsrichterin und eines ehemaligen ehrenamtlichen Richters beim Arbeitsgericht.
Die Reihen waren also gut gefüllt, als die Schauspieler nach einer kurzen Einführung durch Peter und Volker die Bühne erklommen. Aljona als gestrenge Richterin eröffnete die Verhandlung, und es entwickelte sich ein lebensechtes Hin und Her, in denen die Details der Originalverhandlung zur Sprache kamen: Adel als weitgehend reumütiger Angeklagter, Volker als sein Pflichtverteidiger, Joachim als Staatsanwalt, Doris als Zeugin, Gitte als Bewährungshelferin des Angeklagten und Bernd und Günter als Schöffen. Alle Darsteller waren mit Herzblut bei der Sache. Dabei ging der „Oscar“ für das engagierteste Rollenspiel wohl an Doris, die das zwar gebrechliche, aber auch verbal streitbare Opfer des Raubüberfalls mimte.
Es gab also für den ersten Teil des Nachmittags ausnahmsweise tatsächlich mal etwas, was bei den soziokulturellen Reihen im BÜZ sonst eher selten ist: ein Publikum, das zunächst einmal nur passiv das Geschehen auf der Bühne verfolgte. Doch danach war natürlich wieder intensive Mitarbeit gefragt: jede und jeder wurde gebeten, das verkündete Strafmaß zu beurteilen und anhand der vorgeführten positiven wie negativen Verhaltensweisen des Angeklagten zu begründen, weshalb das tatsächliche Strafmaß aus jeweils individueller Perspektive zu hoch oder zu niedrig ausgefallen war.
Für diesen Zeitraum des Reflektierens und Niederschreibens waren rund zwanzig Minuten angesetzt, an den sich eine kurze Kaffeepause anschloss. Danach verlasen die Teilnehmenden reihum ihre Statements, und es war sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich doch die individuellen Eindrücke des Publikums ausfielen: zwischen zehn Monaten zur Bewährung, in welchen der Angeklagte eine Suchttherapie und Sozialstunden absolvieren sowie eine Ausbildung anfangen sollte und harten vier Jahren Gefängnis waren alle Schattierungen vertreten. Sogar die Frage nach einer möglichen Abschiebung des Angeklagten wurde laut, was allerdings im Originalfall gar nicht zur Debatte stand, da es sich bei dem jungen Mann um einen deutschen Staatsbürger handelte.
Das höchste Strafmaß forderte interessanterweise die Fachfrau (die natürlich bescheiden einschränkte, nicht im Strafrecht tätig gewesen zu sein), die ehemalige Verwaltungsrichterin, da ihr weder die Sozialprognose noch das Reueverhalten des Angeklagten sonderlich plausibel erschien.
In der Abschlussrunde waren sich alle Teilnehmenden einig in der positiven Bewertung der Veranstaltung. Die Bandbreite der Argumentation und die Lebendigkeit der Diskussion wurde allseits gelobt. Am Ende blieb die Erkenntnis, dass das Urteil bei gleicher Fakten- und Rechtslage eben doch mit jedem Richter bzw. jeder Richterin anders ausfallen kann – und das alte Sprichwort als Einsicht: auf hoher See und vor Gericht sind alle in Gottes Hand.
Marcus Neuert
Fraglich
Hallo Kevin (Name geändert), im Rahmen unseres Projektes „Alles was Recht ist“ durften wir eine Gerichtsverhandlung verfolgen, in der Du eine der Hauptpersonen warst - leider der Angeklagte. Unsere Gruppe, bei der jede*r mitmachen kann, besteht aus geflüchteten Jugendlichen und biodeutschen Senior innen.
Ich weiß noch genau, wie erstaunt Du zu uns kurz aufschautest. Mit soviel „Fans“ hattest Du sicher nicht gerechnet und magst Dich wohl gefragt haben, ob das so „Recht ist“, dass wir da als Zuschauer sitzen. Aber ich habe auch Fragen, die ich Dir dort ja nicht stellen konnte.
Wie hat sich das angefühlt für Dich, mit soviel Publikum, das an Deiner Verhandlung interessiert war. Sieht man sich, fast wie im Mittelalter auf dem Marktplatz, an den Pranger gestellt? Fühltest Du Dich bespuckt von unseren Blicken? Hast Du vielleicht für Dich beschlossen, dass Du so etwas nicht noch einmal brauchst?
Hattest Du überhaupt keine Skrupel ein altes Ehepaar, das sich nicht wehren konnte, mit einer gezückten Waffe zu überfallen? Hast Du keinen Gedanken darauf verwandt, als Du die über 80 Jährige geschubst hast, sie könnte sich in ihrem Alter dabei so ernsthaft verletzten, dass sie zum Pflegefall würde?
Handelte es sich wirklich um eine Schreckschusspistole, wie von Dir behauptet, oder war es eine scharfe Waffe. Hast Du sie tatsächlich danach in die Weser geschmissen? Hast Du sie doch versteckt, um sie weiterhin zu benutzen? War es Deine Waffe, oder hattest Du sie in Wahrheit von einem Kumpel geliehen, der auch keinen Waffenschein besitzt?
Welche Gefühle hattest Du danach? Hast Du Dich geärgert, weil Du nicht mehr erbeutet hast? Hattest Du Gewissensbisse? Oder „Macht“ (Im wahrsten Sinne des Wortes) Dich so etwas stark und Du dachtest: „Bo ej, der Kick hat Spass gemacht, das mach` ich jetzt öfter“?
Warst Du verärgert, als Du überführt wurdest, oder hat es Dich nachhaltig erschüttert? Bist Du auf den guten Weg, wie Die Richterin es sieht? Wirst Du die Ausbildung in der Haftanstalt beginnen? Gibt Dir Deine neue Freundin, die in einer Kirchengemeinde engagiert ist, den Halt, den Du nötig hast? Hast Du Dich dem christlichen Glauben, wie behauptet, zugewandt? Stimmen diese Aussagen, wie Dein Verteidiger versicherte? War die anwesende junge Frau wirklich Deine Freundin, oder hast Du sie zu diesem Auftritt bezahlt, für die gute Sozialprognose, die die Richterin Dir dafür zubilligte?
Beim nächsten Treffen haben wir für diejenigen , die nicht teilnehmen konnten, die Verhandlung nachgespielt. Viele davon fanden das Urteil von 2 Jahren und 8 Monaten zu hart. Eine Richterin im Ruhestand hätte Dir 4 Jahre aufgebrummt. Einige wünschten sich für Dich nochmal eine Bewährungsstrafe. Andere schlugen sogar vor, Du könntest Sozialleistungen bei dem geschädigten Ehepaar ableisten. Hä?- wie soll das bitte schön gehen? Soll ein Sozialarbeiter, oder Polizist daneben stehen, um die alte Dame zu beschützen? Und wer sollte diesen Einsatz bezahlen? Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie Dich jemals in ihrem Leben wieder sehen will. Der Sozialarbeiter, der bei unserem Rollenspiel den Staatsanwalt gespielt hat, wünschte sich 3 Jahre Haft, weil Du dann die Möglichkeit hättest, eine Ausbildung im Knast auch zu beenden.
Ich finde diese Begründung auch sympathisch. Bei Deinen Vorstrafen und der Tatsache, dass Du bei Deinem letzten Vergehen eine Bewährung kassiert hast, aber Sie nicht gewirkt hat, kann ich mit Deinem Urteil leben. Du hattest in keiner Weise mit Deiner Bewährungshelferin zusammengearbeitet, Termine verstreichen lassen und es noch nicht mal für nötig befunden, diese abzusagen. Mit anderen Worten: Du warst bist dahin an keiner Änderung Deines Verhaltens interessiert. Außerdem lagen das letzte Urteil und die Tat grade mal 4 Wochen auseinander!!!
Hast Du wirklich beschlossen einen anderen Weg zu gehen? Gibt es die Freundin mit dem Helfersyndrom tatsächlich? Wird die junge Frau 2 Jahre und 8 Monate weiter zu Dir stehen? Brauchst Du keinen Drogenentzug, weil Du angeblich nicht süchtig bist? Erfolgte die Entschuldigung, die Du aussprachst nur auf Anraten Deines Anwalts, oder war sie ernst gemeint? Das alles ist für mich fraglich.
Viele gute Wünsche von mir sollen Dich trotzdem begleiten! Gitte Michusch
Besuch des Gerichtszentrums in Minden
Montag, 05.02.2024
Kurz nach dem Startschuss zum Restart der Veranstaltungsreihe ging es direkt weiter. Dieses Mal nicht im BÜZ, sondern im Gerichtszentrum Minden. Richterin Bandini vom Amtsgericht Minden unterbreitete das Angebot, an einer öffentlich zugänglichen Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Dieses Angebot fügte sich doch hervorragend in den Projektduktus ein. Denn wesentliche Teile des Projekts sollen doch einen hohen Anschauungsgrad besitzen.
Die hier skizzierte Darstellung der Verhandlung schützt selbstverständlich die Identität der angeklagten Person, nennt keine Namen des Staatsanwalts, des Verteidigers, der Zeugen oder der Schöffen. Auch werden die Delikte sehr allgemein und diskret dargestellt.
Schon sehr früh am Morgen begaben sich jeweils fünf Kultur-Scouts und Erwachsene auf den Weg zum Gerichtszentrum. Vorher machte Peter Küstermann auf die Sicherheitsmaßnahmen beim Einlass aufmerksam. Natürlich durften keine Messer mitgebracht werden. Nach der Einlasskontrolle und dem Scannen der Utensilien versammelte sich die Gruppe vor dem Gerichtssaal und wartete auf den Einlass.
An diesem Vormittag ging es um eine Verhandlung gegen einen jungen Mann (in der Amtssprache ein Heranwachsender), der noch unter das Jugendstrafrecht fiel. Die Kultur-Scouts konnten sich konkret ein Bild von einer deutschen Gerichtsverhandlung machen. Zur rechten Seite saß der Vertreter der Anklage, der Staatsanwalt. Daneben eine Sachverständige, die ein ausführliches Gutachten über den Angeklagten erstellt hatte. Zur linken Seite saß der Angeklagte mit seinem Anwalt, in diesem Fall ein Pflichtverteidiger. In der Mitte die Richterin Bandini sowie zwei Schöffen. Aufgabe der Schöffen ist es, sich in der Gerichtsverhandlung ein unvoreingenommenes Bild zu machen und mitzuentscheiden, ob die angeklagte Person sich schuldig gemacht hat und welche Strafe angemessen ist. Zudem war auch die Bewährungshelferin des Angeklagten anwesend, denn dieser war nicht zum ersten Mal im Gerichtssaal. Ferner durfte auch ein Schriftführer nicht fehlen. Und schließlich gab es auch noch die Zuschauerplätze, wo sich weitere Interessierte einfanden.
Zu Beginn wurden die Anklagepunkte von der Richterin vorgelesen, unter genauer Berücksichtigung der jeweiligen Paragraphen und Absätze des StGB (Strafgesetzbuch). Es handelte sich um Einbruch, Diebstahl, Bedrohung mit Waffengewalt, Gewaltanwendung, Beleidigung, Sachbeschädigung, schwerwiegende Drogendelikte, Fahren unter Drogen- und Alkoholeinfluss ohne Führerschein sowie weitere kleinere Delikte, zum Teil auch als Wiederholungstäter. Details wurden im Dialog mit dem Staatsanwalt, dem Strafverteidiger und der Richterin erörtert und im Bedarfsfall durch den Schriftführer protokolliert. Der Angeklagte durfte auch zu Wort kommen. Ferner wurden zwei Personen in den Zeugenstand gerufen. Eine ausführliche Stellungnahme gab es auch von der Sachverständigen sowie von der anwesenden Bewährungshelferin. Dabei ging es um den Verstoß gegen Bewährungsauflagen, die in einer früheren Verhandlung auferlegt worden waren.
Letztendlich formulierte der Staatsanwalt sein Anklageplädoyer, der Verteidiger strafmildernde Umstände und nach der Beratung mit den Schöffen und der Richterin wurde das Strafmaß verkündet. Dieses war angesichts der gravierenden Straftatbestände nicht unerheblich, ohne hier aus den schon benannten Personen- und Datenschutzgründen zu sehr ins Detail zu gehen.
Die Kultur-Scouts verfolgten die Gerichtsverhandlung mit außergewöhnlichem Interesse und mit großer Konzentration. Dafür gebührte ihnen ein großer Dank.
Birgit Oldenburg
Strafprozess am Amtsgericht Minden
Im Rahmen der Workshop-Reihe Alles was Recht ist durften wir am Montag bei einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zuschauen. Eingeladen hatte uns die Richterin Frau Baldini, die diese Verhandlung leiten würde.
Am frühen Morgen machten wir uns mit zehn Personen, fünf Senioreninnen sowie fünf jungen Integrationslotseninnen, auf den Weg zum Amtsgericht.
Punkt neun Uhr eröffnete die Richterin das Verfahren. Angeklagt war ein vorbestrafter junger Mann Anfang zwanzig. Ihm wurden vier verschiedene Delikte zur Last gelegt Sachbeschädigung, Rauschgifthandel, Körperverletzung sowie schwerster Raub.
Diese Straftaten sollten in diesem Verfahren verhandelt werden. Der Staatsanwalt schilderte sogleich chronologisch die einzelnen Taten. Der Angeklagte zeigte sich reumütig und gestand die Taten. Einzig bei der Sachbeschädigung zeigten sich Erinnerungslücken. Bezüglich des Raubüberfalls teilte der Angeklagte mit, dass er eine ungeladene Schreckschusspistole benutzt habe. Bisher war das Gericht von einer echten geladenen Waffe ausgegangen. Sodann wurde die Anklage vom schwersten Raub auf schweren Raub gemildert. Der Staatsanwalt teilte mit, dass dieser kleine Unterschied bis zu einem Jahr weniger Haftstrafe ausmachen könne. Dem vom Raubüberfall betroffenem Opfer nützte diese Information wenig. Die Angst und die Albträume seien noch immer da. Der Angeklagte entschuldigte sich bei dem Opfer, die als Zeugin geladen worden war.
Der Angeklagte war auskunftsbereit und äußerte sich verfahrensdienlich. Dank seiner Hilfe konnten einige Detailfragen geklärt werden. Dieses kooperative Verhalten floss am Ende in das Strafmaß mit ein.
Es wurde eine Gutachterin angehört, die sich mit dem Angeklagten für mehrere Stunden unterhalten hatte. Es ging um seine Sozialprognose sowie Zurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten.
Es zeigte sich, dass der junge Mann bereits im Kindergarten verhaltensauffällig war. Die Eltern waren beide berufstätig. Nach der Trennung der Eltern riss der Kontakt zum Kindesvater ab. Der junge Mann konnte sich nur noch mäßig an den Vater erinnern, obwohl er zum Zeitpunkt der Trennung neun Jahr alt war. Mit dem Stiefvater verschlechterte sich das Verhältnis ab Eintritt in die Pubertät. Der junge Mann wurde zunehmend kriminell. Dem Jugendamt war die Familie nicht bekannt.
Der Angeklagte gab offen zu, verschiedenste Drogen konsumiert zu haben. Seiner Meinung nach gehöre der Konsum von Drogen zu einem Gangster- Lifestyle dazu. Er sei jedoch nicht süchtig und hätte auch längere Phasen ohne Drogen gehabt. Besonders schlimm sei der Drogenkonsum nach der Trennung von seiner ehemaligen Freundin gewesen. Heute konsumiere er keine harten Drogen mehr, lediglich Haschisch rauche er gelegentlich. Zu dieser Wandlung hätte seine neue Freundin geführt, mit der der Angeklagte eine ernsthafte Beziehung anstrebe. Die Freundin komme aus einem christlich-religiösen Umfeld und der Angeklagte habe sich dem christlichen Glauben ebenso zugewandt. Eine Suchttherapie sei nicht nötig.
Er sei in einem Randbereich von Bärenkämpen aufgewachsen und da wären alle kriminell. Wer dort etwas in seiner kriminellen Laufbahn vorzuweisen habe, wäre cool und würde von den anderen geachtet und geschätzt. Der Gutachterin gegenüber machte der Angeklagte sein Umfeld für sein destruktives Verhalten verantwortlich.
Die Gutachterin kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte trotz Drogenkonsum bei seinen Taten voll zurechnungsfähig war. Er hätte eine geringe Frustrationstoleranz und eine verzögerte Reifeentwicklung. Die Prognose war dennoch tendenziell positiv. Der Angeklagte hatte das Gymnasium besucht, musste dieses jedoch wegen unsozialem Verhalten verlassen. Dann riss er sich jedoch zusammen und schaffte mit mäßigen Notenschnitt die Realschule. Die Richterin erwähnte bei der Begründung ihres Urteils, dass dies ein relativ hoher Abschluss sei.
Anschließend wurde die Bewährungshelferin angehört. Der Angeklagte war bereits wegen früherer Straftaten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Es stellte sich heraus, dass der Angeklagte sämtliche Termine mit der Bewährungshelferin versäumt hatte. Angeblich habe er die Post nicht oder nicht rechtzeitig erhalten.
Nach umfassender Sachverhaltsdarstellung und Klärung aller Fragen forderte der Staatsanwalt schließlich drei Jahre und drei Monate Haft für den Angeklagten. Bei seinem Strafmaß berücksichtigte er die Tatsache, dass die kriminellen Taten des Angeklagten in den letzten zwei Jahren sowohl quantitativ als auch qualitativ zugenommen haben. Schwerer Raub sei nur noch durch Mord zu toppen.
Der Verteidiger forderte die Strafe auf zwei Jahre Haft zu verkürzen.
Die Richterin Frau Baldini zog sich vor dem endgültigen Urteil mit den beiden Schöffen zur Beratung zurück.
Nach einer viertelstündigen Pause wurde das Urteil verkündet. Es wurde das Jugendstrafrecht angewandt, da der Angeklagte als reifeverzögert galt. Das Urteil lautete zwei Jahre und acht Monate Haft. Die Richterin begründete ihr Strafmaß damit, dass der Angeklagte sich von seiner Bewährungsstrafe unbeeindruckt gezeigt und bereits einen Monat nach Urteilsverkündung den Raubüberfall begangen habe.
Mildernd flossen die authentische Entschuldigung des Angeklagten sowie seine tendenziell positive Sozialprognose ein.
Im Anschluss an das Verfahren durften wir Fragen an die Richterin, die Schöffen sowie den Staatsanwalt stellen. Wir hatten reichlich Fragen, z.B. ob sich freches Verhalten vor Gericht ungünstig auf das Strafmaß auswirken würde. Dies wurde verneint. Es wurde auch gefragt, ob sich das Gericht von der Anzahl der Zuschauer beeinflussen ließe. Dies wurde ebenso verneint. Peter Küstermann ließ der Drogenkonsum des Angeklagten nicht los. Hätte das Gericht hier nicht stärker darauf eingehen müssen? Die Richterin Frau Bandini erwiderte daraufhin, dass das Gericht die Angeklagten für ihre Straftaten zu verurteilen, jedoch nicht den Auftrag habe, diese zu retten.
Das Strafmaß wurde unterschiedlich beurteilt. Während die einen es für zu milde hielten, hielten es die anderen für zu hoch. Die Richterin teilte mit, dass eine andere Richterin oder ein anderer Richter sicherlich ein anderes Urteil gefällt hätte.
Überrascht hatte uns der lässige Umgangston vor Gericht.
Wir bedankten uns und kamen erschöpft aus dem Gericht. Die Zuschauerbänke erwiesen sich nach dem ca. zweieinhalbstündigem Verfahren als hart und unbequem. Wir hatten dennoch tapfer und still durchgehalten.
Insgesamt war es ein spannender Vormittag über den wir sicherlich noch viel diskutieren werden.
Schreibworkshop
Freitag, 26.01.2024
Was tun, wenn die Gesetze einer Religion mit denen weltlicher Gesellschaften zu kollidieren scheinen? Wir verschafften uns heute einen Überblick und werden uns in diesem Jahr mit praktischen Beispielen befassen zu den Themen:
- Bin ich frei in meinen Handlungen?
- Darf ich demonstrieren?
- Bin ich frei in meiner sexuellen Orientierung?
- Wie bekomme ich Recht?
- Strafe als Vergeltung? Oder als Resozialisation?
Wann habe ich das Gesetz gebrochen
Unsere Samba Gruppe wird seit Jahren für den Hannover Marathon gebucht. Manchmal fahren wir in Fahrgemeinschaften dorthin und manchmal mit dem Zug. Das eine Jahr kaufte eine Sambista unsere Sammelfahrkarten. Als wir schon auf dem Bahnsteig standen und wir uns mit der mitfahrenden Kontrolleurin unterhielten, kam auf dem letzten Drücker noch eine weitere Sambista dazu. Es war klar, dass wir eine Fahrkarte zu wenig hatten. Der Zug fuhr schon ein und wir stiegen alle ein. Uns blieb auch gar nichts anderes übrig um keine Konventionalstrafe vom Veranstalter zu kassieren. Wir müssen genau die vorgegebene Uhrzeit einhalten, sonst kommen wir nicht mehr auf die später abgesperrte Strecke. Es hätte nur die Möglichkeit bestanden, die zu letzt Gekommene zurückzulassen. Die Kontrolleurin hat die Situation voll mitbekommen und hatte sich netterweise im Zug die Fahrkarten nicht zeigen lassen. Ein klarer Fall von: ich drücke mal ein Auge zu!
Alles was Recht ist
In unserem Schreibworkshop äußerte ein Jugendlicher:
„Naja, als junger Mensch übertritt man schon manchmal das ein oder andere Gesetz…“
Und da erinnerte ich mich: Es war Dezember, bitterkalt, und ich war in der Stadt mit Sohn, 9 Jahre alt, und Tochter, 7 Jahre, um vorweihnachtliche Einkäufe zu tätigen.
Zurück am Auto sahen wir, wir waren hoffnungslos zugeparkt. Als nach einer Weile des Wartens nichts geschah und die Kälte immer grimmiger in unsere Knochen zog, da rief ich die Polizei an, die auch recht bald kam und ein Abschleppunternehmen orderte.
Die freundlichen Polizisten sahen uns frieren und sagten: „Kommen Sie, setzen Sie sich in unser Auto, Wir heizen es.“ Und schon saß mein Sohn vorne bei einem Polizisten, wir beiden anderen hinten und freuten uns die Wärme zu genießen.
Interessiert betrachtete mein Sohn alles im Auto. Der Polizist, sehr kinderfreundlich, zeigte auf die Armatur und sprach: „Und da ist der Polizeifunk, den wir immer abhören müssen.“
„Ach“, sprach mein Sohn, „mein Onkel hat den zusammen mit meiner Mama auch immer abgehört, ja. Weißt du noch Mama, Onkel W. hat doch erzählt, dass ihr einmal gehört habt, wie die Polizei nach einem nackten Mann…“
Mir wurde es heiß, wohlwissend, dass Polizeifunk abhören illegal ist, auch wenn es schon lange her war.
Ich unterbrach abrupt: „Ach ich glaube, es ist jetzt nicht mehr so kalt, wir können auch draußen warten“.
Natürlich war es draußen keineswegs wärmer geworden.
Der Polizist dachte, die arme Frau, sorgen wir für ein anderes Thema und zeigte meinem Sohn ein Alkoholmessgerät zum Reinpusten. Mein Sohn sprudelte sofort aufgeregt hervor:
„Ja, da musste meine Mama auch mal reinpusten, als wir Silvester bei Verena gefeiert haben. Weißt du noch Mama?“
Und ich gab die dümmste Antwort, die man in einer solchen Situation geben kann:
„Da kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern.“ (wegen zu viel Alkohol????).
Die Polizisten lachten und lachten und ich konnte endlich erleichtert ausrufen:
„Ach, da hinten kommt ja das Abschleppauto…“
Ja, in jungen Jahren nimmt man Gesetze nicht immer so ernst.
Was sagte eine ältere Nonne einmal über eines meiner Kinder:
Kindermund,
tut Wahrheit kund.
Wohl wahr, aber will man diese Wahrheit immer hören?
Schreibworkshop
Freitag, 26.01.2024
Was tun, wenn die Gesetze einer Religion mit denen weltlicher Gesellschaften zu kollidieren scheinen? Wir verschafften uns heute einen Überblick und werden uns in diesem Jahr mit praktischen Beispielen befassen zu den Themen:
- Bin ich frei in meinen Handlungen?
- Darf ich demonstrieren?
- Bin ich frei in meiner sexuellen Orientierung?
- Wie bekomme ich Recht?
- Strafe als Vergeltung? Oder als Resozialisation?
Wann habe ich das Gesetz gebrochen
Unsere Samba Gruppe wird seit Jahren für den Hannover Marathon gebucht. Manchmal fahren wir in Fahrgemeinschaften dorthin und manchmal mit dem Zug. Das eine Jahr kaufte eine Sambista unsere Sammelfahrkarten. Als wir schon auf dem Bahnsteig standen und wir uns mit der mitfahrenden Kontrolleurin unterhielten, kam auf dem letzten Drücker noch eine weitere Sambista dazu. Es war klar, dass wir eine Fahrkarte zu wenig hatten. Der Zug fuhr schon ein und wir stiegen alle ein. Uns blieb auch gar nichts anderes übrig um keine Konventionalstrafe vom Veranstalter zu kassieren. Wir müssen genau die vorgegebene Uhrzeit einhalten, sonst kommen wir nicht mehr auf die später abgesperrte Strecke. Es hätte nur die Möglichkeit bestanden, die zu letzt Gekommene zurückzulassen. Die Kontrolleurin hat die Situation voll mitbekommen und hatte sich netterweise im Zug die Fahrkarten nicht zeigen lassen. Ein klarer Fall von: ich drücke mal ein Auge zu!
Alles was Recht ist
In unserem Schreibworkshop äußerte ein Jugendlicher:
„Naja, als junger Mensch übertritt man schon manchmal das ein oder andere Gesetz…“
Und da erinnerte ich mich: Es war Dezember, bitterkalt, und ich war in der Stadt mit Sohn, 9 Jahre alt, und Tochter, 7 Jahre, um vorweihnachtliche Einkäufe zu tätigen.
Zurück am Auto sahen wir, wir waren hoffnungslos zugeparkt. Als nach einer Weile des Wartens nichts geschah und die Kälte immer grimmiger in unsere Knochen zog, da rief ich die Polizei an, die auch recht bald kam und ein Abschleppunternehmen orderte.
Die freundlichen Polizisten sahen uns frieren und sagten: „Kommen Sie, setzen Sie sich in unser Auto, Wir heizen es.“ Und schon saß mein Sohn vorne bei einem Polizisten, wir beiden anderen hinten und freuten uns die Wärme zu genießen.
Interessiert betrachtete mein Sohn alles im Auto. Der Polizist, sehr kinderfreundlich, zeigte auf die Armatur und sprach: „Und da ist der Polizeifunk, den wir immer abhören müssen.“
„Ach“, sprach mein Sohn, „mein Onkel hat den zusammen mit meiner Mama auch immer abgehört, ja. Weißt du noch Mama, Onkel W. hat doch erzählt, dass ihr einmal gehört habt, wie die Polizei nach einem nackten Mann…“
Mir wurde es heiß, wohlwissend, dass Polizeifunk abhören illegal ist, auch wenn es schon lange her war.
Ich unterbrach abrupt: „Ach ich glaube, es ist jetzt nicht mehr so kalt, wir können auch draußen warten“.
Natürlich war es draußen keineswegs wärmer geworden.
Der Polizist dachte, die arme Frau, sorgen wir für ein anderes Thema und zeigte meinem Sohn ein Alkoholmessgerät zum Reinpusten. Mein Sohn sprudelte sofort aufgeregt hervor:
„Ja, da musste meine Mama auch mal reinpusten, als wir Silvester bei Verena gefeiert haben. Weißt du noch Mama?“
Und ich gab die dümmste Antwort, die man in einer solchen Situation geben kann:
„Da kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern.“ (wegen zu viel Alkohol????).
Die Polizisten lachten und lachten und ich konnte endlich erleichtert ausrufen:
„Ach, da hinten kommt ja das Abschleppauto…“
Ja, in jungen Jahren nimmt man Gesetze nicht immer so ernst.
Was sagte eine ältere Nonne einmal über eines meiner Kinder:
Kindermund,
tut Wahrheit kund.
Wohl wahr, aber will man diese Wahrheit immer hören?
Das Buch als Geisel – dürfen BÜCHER verbrannt werden?
Start der neuen Projektreihe am 20.10.2023
„Das Armesünderglöckchen läutet. Die Stadtmusikanten schlagen die Trommel, stoßen in die Trompeten. Langsam bewegt sich. der Zug zum Marktplatz. Dort ist über Nacht ein Galgen aufgebaut worden. Ein rotes Tuch ist ausgebreitet, wie immer, wenn ein Malefikant durch den Scharfrichter vom Leben zum Tod befördert werden soll.
Doch auf dem Esel, den die Henkersknechte am Strick führen, sitzt kein Todeskandidat. Eine mit Flammen bemalte Kiste schaukelt auf dem Rücken des Tieres. Am Blutgerüst greift der Henker in den bunten Sarg – und holt ein Buch heraus. Stadtschreiber malen den Titel auf große Bogen Papier und nageln sie an den Pranger, in allen vier Windrichtungen. Der Gerichtsbote verliest das Urteil über das zum Tod in den Flammen verdammte Buch. Der Richter hebt den Holzstab, der den Körper des Delinquenten darstellt – und bricht den Zweig entzwei. Jetzt spießt der Henker das Buch auf eine Mistgabel, zeigt es der Menge und wirft es in den mit brennendem Reisig gefüllten Kessel. Oft muss er mit der Gabel die Seiten wenden: Bücher wollen nicht brennen.
Jahrhundertelang hat Europa dieses Schauspiel erlebt. Oft wurde nicht nur ein Buch, sondern auch sein Autor zum Richtplatz geschleppt. Dort wurde ihm die "sündige" Schreibhand abgehauen, die Zunge ausgerissen und an den Pranger genagelt. Dann wurde er, zusammen mit seinem Werk, auf den Scheiterhaufen geworfen und in Flammen zur Hölle geschickt. Der Stockmeister und seine Blutknechte kehrten am Ende die Asche zusammen und streuten sie in den Fluss oder in die vier Winde.“ (Quelle: Die Zeit, 24.3.1989)
Der Jurist Carsten Stallbörger, Initiator und Projektleiter der neuen Reihe, hatte sich für die Eröffnungsveranstaltung viel vorgenommen: Aus historischer (Bibliothek von Alexandria, Buchhinrichtung in England oder in Mitteleuropa, Nationalsozialismus) , soziologischer, theologischer und juristischer Sicht sollte die folgende Fragestellung beleuchtet werden:
Darf die Bibel oder der Koran verbrannt werden?
Diese Thematik sorgte dafür, dass das BÜZ gut besucht war. Jung und Alt wollten darüber diskutieren und letztendlich einen Text zu dieser Fragestellung verfassen.
Die Idee zu dieser Veranstaltung resultierte aus einem noch aktuellen Anlass:
„Salwan Momika sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem Hotelzimmer südlich von Stockholm. Der 37-jährige Iraker, dessen Aktionen Teile der islamischen Welt in Aufruhr versetzt und Schweden in diplomatische Nöte gestürzt haben, gibt sich betont gelassen. Als Christ sei er in seiner Heimat unter anderem von der Terrororganisation Islamischer Staat verfolgt worden - das habe in ihm einen tiefen Hass auf den Islam geschürt. Diesen Hass behielt er nicht für sich. Vor der Stockholmer Moschee zündete er den Koran an, spielte vor der irakischen Botschaft mit ihm Fußball. Aus Protest gegen diese Aktionen gingen im Irak, Iran und in Pakistan Tausende Menschen auf die Straßen. Deshalb fürchtet Schweden jetzt massiv um die Sicherheit des Landes, steht kurz davor, die Terrorwarnstufe zu erhöhen. Momika bereut nichts. "Warum sollte ich?", sagt er im ARD-Interview. "Das Problem bin nicht ich, sondern es sind diese diktatorischen Gesellschaften, diese islamistischen Gesellschaften, die ein Diktator erschafft." (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/salwan-momika-100.html)
Eine zentrale Frage, die im BÜZ erörtert wurde, lautete: Handelt es sich um Gotteslästerung oder ist die Tat durch die Meinungsfreiheit gedeckt? Für Schweden gilt: „Als erstes Land weltweit hat Schweden 1766 die Pressefreiheit per Gesetz verankert, also vor mehr als 250 Jahren. Damit ist auch das Äußern der eigenen Meinung schon lange ein hohes Gut in dem Land. Der Straftatbestand der Blasphemie wurde 1970 abgeschafft, die Kritik an Religionen gehört zur Meinungsfreiheit.“ (Schweden streitet: Was darf Meinungsfreiheit?)
Und in Deutschland? Carsten Stallbörger zitierte dazu § 166 StGB sowie die Tatbestandselemente des § 166 StGB.
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Diese Thematik führte zu umfangreichen kontroversen Diskussionen, die sich auch in den Schreibergebnissen wiederfanden:
- Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Aktion
- Öffentliche Aktionen wollen provozieren und verletzen
- Verletzung der religiösen Gefühle
- Tatbestand der Beleidigung
- Symbolischer öffentlicher Akt zur Spaltung der Gesellschaft
Ein Text einer Anwesenden befasste sich mit der Darstellung eines Schweins am Kreuz, die blasphemisch und verletzend sein kann.
Volker Papke-Oldenburg
Reden und nichts sagen
Papier zu verbrennen, ist zunächst in keiner mir bekannten Religion eine Sünde. Aber warum verbrennt jemand Papier? Er verbrennt kein Kochbuch, kein Telefon usw.
Deshalb kann man vermuten, dass es nicht um das Verbrennen von Papier (oder Stoff, wenn es eine Flagge ist) geht, sondern darum, eine symbolische Handlung zu begehen, mit der jemanden verletzt, gedemütigt oder gar getötet werden soll. Unser großer Dichter Heinrich hat in seinem Theaterstück „Almansor“ den Satz geprägt: „Wer Bücher brennt, verbrennt auch Menschen.“ Darum geht es auch, einen ganz niederen Hass und eine niedere Mordlust zu befriedigen.
Kein Gott, welcher Name ihm auch gegeben worden ist („Jahve“, „Elohim“, „Herr“ oder „Allah“), verlangt von den Glaubenden, Menschen aus Hass oder Rache zu töten oder sogar niederzumetzeln.
Viele sogenannte religiöse Riten und Regeln haben mit Glauben nichts zu tun; sie sind menschliche, meist stammesgeschichtliche Rituale, die meistens Herrschaft und Gewalt (z. B. gegen Frauen, niedere Kasten, Menschen mit Beeinträchtigungen usw.) sichern sollen.
Diese Rituale mögen religiös sein, mit Glauben haben sie nichts zu tun. Das Deutsche Wort „glauben“ stammt von „geloben“ ab und bedeutet „Vertrauen haben“. Wer andere ihrer Religion wegen unterdrückt oder ihnen gar nach dem Leben trachtet, hat kein Vertrauen (in seinen Gott, in die Welt, in der er lebt, in sich selbst).
Das gilt für die „Religiösen“ ebenso wie für deren Führe, seien sie Hohe Priester, Papst, Metropoliten oder Ajatollahs. Ihre Macht- und Mordgelüste haben die Welt in Katastrophen, schreckliche Kriege und ähnliches geführt.
Dem „Glaubenden“ sei ein Weg der Liebe und der Demut geraten; er findet zu sich selbst, verliert den Hass und kann das Leben in Fülle genießen
Jochen Neuhaus
Was glaubst Du, wer Du bist
Ein bisschen mehr Bildung täte Dir gut.
Hast Du Khalil Gibran gelesen?
Siddhartha gibt es in vielen Sprachen.
Schon mal etwas von Meister Eckehart gehört - mmh?
Ich schenke Dir eine Theaterkarte für Lessings Ringparabel
Vielleicht hilft´s - Nein?
Bitte nicht!!!
Doch Du verbrennst das Buch - so ein Zorn!
Tritts die Gefühle der Menschen mit Füßen!
Liebe geht anders!
Schwingst Dich auf und spielst Inquisition!
Meinst Du, du hättest die Weisheit mit Löffeln gefressen
und es gäbe nur eine Wahrheit?
Hast das heilige Buch gelesen,
kennst so manche Zeilen auswendig,
aber v e r s t a n d e n hast Du n i c h t s .