2020
Café International
Begegnung
Café International
Unser erstes Projekt, das von einem Geflüchteten geleitet wird!
Wir sprechen diesmal die Familien von Geflüchteten und einheimischen Teilnehmern an, indem wir ihnen Raum für Austausch und Kreativität schaffen.
In Gesprächen mit beiden Gruppen aus unseren Vorgängerprojekten zeigte sich, dass immer wieder unausgesprochen implizite traditionelle Vorstellungen von Zusammengehörigkeit und Verpflichtungen gegenüber der eigenen Familie und von entsprechendem Wohlverhalten mit eher offenen westlichen Familienmodellen kollidierten, bisweilen emotional kontrovers ausgetragen: „Heilige Familie versus Wohn-/Lebensgemeinschaft in Patchwork-Konstellationen“.
Der Bearbeitung dieser unterschiedlichen Erfahrungen von Familienmitgliedern in ihren unterschiedlichen Rollen wollen wir Raum geben, indem wir behutsam Sprechsituationen und Gelegenheiten schaffen, in denen sich alle Teilnehmer sicher fühlen und Verständnis füreinander entwickeln vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Normen und Traditionen.
Die Teilnehmer überwinden kulturelle Hürden, indem sie sich gegenseitig als Familienmitglieder kennenlernen und voneinander lernen. Sie entdecken gemeinsame Interessen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Das wird dem inklusiven Anspruch unserer Kulturarbeit gerecht.
Unser Erzählcafé zum Thema: Familie über alles? Antworten,
Erfahrungen, Austausch. Entspannt bei Kaffee und Kuchen.
Von Binational bis biodeutsch.
Heilige Familie versus Wohngemeinschaft im Patchwork.
Erzählen Sie uns ihre Geschichten, wie sie Familie erleben,
und was Ihnen heilig ist. Lassen Sie sich überraschen
vom Verständnis anderer Kulturen.
Förderer
Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
LAG Soziokultureller Zentren Nordrhein-Westfalen e.V.
Kooperationspartner
Betreuergruppe Hafenschule rechtes Weserufer
Kulturbüro der Stadt Minden
Weserkolleg Minden
Café der Kulturen
Herder-Gymnasium der Stadt Minden
Leitung
Mohamed Ghneem, Mindener Politikwissenschaftler aus Damaskus
Veranstaltungen
Café International, 20.09.2020
Am 20. 9. 2020 begrüßte uns Peter zum Cafe ́ International und wies die Anwesenden auf die Hygienemaßnahmen hin. Unter den deutsch-arabischen Gästen hatten sich auch 3 binationale Paare eingefunden. Sie stammten aus Eritrea, China und Russland, der/die jeweilige Partner/in aus Deutschland. Anschließend gab er die Moderation weitgehend an Mohammed ab. Mohammed studierte Politikwissenschaft und arbeitet im Integrationsbüro der Stadt. Mohammed betonte wie wichtig die Familie im arabisch sprechenden Ländern ist und gab uns als Einstieg das Thema Familienleben unter Corona, mit Blick auf die Kinderbetreuung vor.
Von der Zeit, als die Schulen geschlossen waren, berichteten die Eltern von Schwierigkeiten mit den Hausaufgaben. Die Geschwister waren viel draußen und haben sich dort beschäftigt. Die Eltern und Kinder unternahmen etwas im Freien. Zu Hause herrschte manchmal Langeweile und es gab mehr Konflikte mit den Eltern. Eine Familie hat z.Zt. mit 7 Personen eine zu kleine Wohnung und sucht etwas neues. Von deren 2 anwesenden Kinder hörten wir sozusagen aus 1. Hand Klagen über Langeweile. Sie wollten nicht gern in der Wohnung spielen.
Ein Vater berichtete, dass seine Tochter mit den Matheaufgaben, wegen fehlender Erklärung für den Lösungsweg, überfordert war. Die Kinder hätten sich mehr mit elektronischen Medien beschäftigt. Eines seiner Kinder hat sogar etwas im Internet bestellt, obwohl es das nicht durfte. Weil sein Mädchen schlecht arabisch spricht, hat er eine Freundin eingeladen, welche die Sprache beherrscht. Doch sie unterhielten sich leider die ganze Zeit auf deutsch. Durch Corona wurde das Familienleben intensiviert.
Eine anwesende Lehrerin bestätige auch die Überforderung der Eltern durch den Hausunterricht. Sehr schwierig war es für Eltern, die beide berufstätig sind. Auch manche Lehrer waren mit der Situation überfordert, während andere damit besser umgehen konnten. Von den Kindern kam die Rückmeldung, dass ihnen langweilig war und sie die Schule und Freunde vermissten. Das war für die Lehrer auch neu zu hören. Auch von den Müttern kam manchmal Post. In manchen Haushalten mussten sich 3 Kinder einen Computer teilen. Inzwischen ist durch bessere elektronische Ausstattung der Schulen und Fortbildung der Lehrer eine Entspannung eingetreten. Corona hat einen Schub in der Digitalisierung ausgelöst.
Im 1. Jahr sind viele junge syrische Kinder in der Klasse außer Rand und Band. Weil die Lehrer in Deutschland als wenig streng wahrgenommen werden, müssten sie erst lernen, dass von ihnen trotzdem Disziplin erwartet wird. Auch die Gleichstellung der Frau ist gewöhnungsbedürftig. Die Eltern brauchen noch mehr Zeit als die Kinder, damit solches bei ihnen ankommt.
Von einer Person wohnen die Angehörigen über 600km entfernt. Normalerweise trifft sich die Patchworkfamilie ca. 4x im Jahr. In diesem Sommer war es nur 1x, aber es wurde mehr als sonst über Social Media kommuniziert. Wenn die andere Familie zu Besuch ist, wird es den gemeinsamen Kindern oft zu viel. Der Mann redet mit der angereisten Familie oft nur russisch. Die jetzige Ehefrau bemüht sich daher, die russische Sprache zu erlernen. Das gestaltet sich für sie durch die berufliche Anspannung schwierig.
Eine Dame aus Eritrea erklärte, auf die Kindererziehung bezogen, einen Spruch aus ihrer Heimat. Auf deutsch bedeutet er: es sollte nur mit einem Auge gesehen werden. Das andere Auge ist zu. (Die entsprechende deutsche Redewendung wäre: ein Auge zudrücken, oder fünf grade sein lassen.) In der Partnerschaft werden anfangs nicht alle Unterschiede bemerkt, später kommen dann die Erkenntnisse.
Wie aus den Erläuterungen zu entnehmen war, gibt es so etwas auch bei deutsch/deutschen Ehepaaren. Jemand stellte sich als extrovertiert vor, seine Frau als zurückhaltend. Dafür würde sie jede Kleinigkeit registrieren. Aber im Laufe der Zeit würde es Entwicklungen geben zu anderen Ansichten und Verhaltensweisen und das stellt eine Partnerschaft immer vor neue Herausforderungen. Ein mittlerweile 45 Jahre verheiratetes deutsch/deutsches Paar konnte das nur abnicken. Ein deutsch/deutsches Paar, das 53 Jahre verheiratet ist, empfand anfangs im Lockdown eine Hilflosigkeit. Dann besannen sie sich darauf, liegengebliebene Sachen aufzuarbeiten. Von ihren Kindern sind sie im Juni 1x besucht worden. Sie wiesen darauf hin, dass sie als Rentner abgesichert sind, aber Menschen, die im Berufsleben stehen, sich um ihre finanzielle Existenz sorgen müssten.
Wie die aus China stammende Dame berichtete, wird die Politik bei ihnen aus den Unterhaltungen ausgeklammert. Gefragt, wie mit Konflikten in ihrer Partnerschaft umgegangen wird, war die Antwort: „bei Streit - Schweigen!“ Sie würden keine Kompromisse eingehen. Nach einiger Zeit hätte sich die Angelegenheit erledigt. Erwähnung fand auch noch, dass sie eine gute Köchin ist. Auf ihre mit viel Aufwand gekochten chinesischen Gerichte, würde ihr Mann dann aber Senf und Ketchup ́draufkippen und darüber ist sie sehr, sehr traurig. Alle grinsen! (Anmerkung der Verfasserin: ich vermute, beim Essen muss es schweigsam zugehen. In dem Fall würde ich als Deutsche bei diesem lautlosen Krieg zu China halten und hoffe, das sich die Angelegenheit irgendwann erledigt und sie immer fröhlich sein kann.) Nach der Art ihrer Kindererziehung gefragt, die doch in China ziemlich streng ist, kam die Antwort: die ist in der Familie nicht so streng, aber schon mehr als in Deutschland üblich.
Ein Herr aus dem arabischen Raum bekräftige auch den großen Unterschied zwischen Strenge im Heimatland und Freiheit in Deutschland und sagte, es müsse eine Mitte gefunden werden. „Wenn ich schulpflichtige Kinder in China hätte, könnte ich auch nicht nur deutsche Erziehungsmethoden zu Grunde legen“, bemerkte eine deutsche Teilnehmerin. Um eine Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen, muss ein Mittelweg gefunden werden.
Mohammed verabschiedete die Teilnehmer. Es war wieder ein gelungener Nachmittag mit interessantem Gesprächsaustausch bei Kaffee und leckerem Kuchen. Peter fragte nach Themen für das nächste Jahr. Dabei lautete ein Vorschlag: Tradition und Lebensart.
Als Schlusswort nenne ich an dieser Stelle aber einen Wunsch des anwesenden Tunesiers, weil er mir so gut gefiel: „Corona soll zu Ende gehen, aber die Beziehung zur Familie soll bleiben!“
Gitte Michusch
Café International, 25.07.2020
Café International, der Name ist Programm.
Menschen verschiedener Herkunft, Altersklassen und Berufe treffen sich im Mindener Kulturzentrum BÜZ zum Austausch. Bei Kaffee und durch Corona bedingt abgepackten Keksen statt Kuchen werden die verschiedensten Themen besprochen und diskutiert.
So auch am 25.07.2020. Beginnend mit der Vorstellungsrunde wurde deutlich, wie multikulturell die Veranstaltung ist. Menschen aus Tunesien, Ägypten, Marokko, Syrien und Deutschland. Von Richtern, Ärzten, Handwerkern und Schülern, alle Altersklassen und verschiedene Berufe sind vertreten. Das Thema der Veranstaltung war Familie. Wie hat die Familie die Corona Zeit wahrgenommen? Was bedeutet Familie für mich?
In den Gesprächen wird schnell deutlich, dass nicht nur die Kultur von Bedeutung ist, sondern auch die Individuelle Persönlichkeit der Anwesenden. So wird aus der Frage „Wie lebe ich mit zwei Frauen/Familien in Deutschland?“ eine Diskussion trotz derselben Herkunft und Religion.
Im Café International werden viele Frage beantwortet, und jede Meinung ist willkommen. Es ist ein Treffen zum Kennenlernen und Anschluss finden. Gerne wird die Veranstaltung auch genutzt, um das Ankommen in Deutschland besser gestalten zu können. So wird auch immer genug Zeit zum Übersetzten eingeplant.
Das Café International ist für alle eine tolle Gelegenheit neue Leute und Kulturen kenne zu lernen. Jeder der sich vorher anmeldet, ist herzlich willkommen.
Inga Peußner
Café International, 07.03.2020
Am 07.03.20 fand zum zweiten Mal in Jahr 2020 das Erzählcafe´ mit Gästen aus Syrien, Tunesien, Kasachstan, Eritrea, Marokko und Ostwestfalen bei Kaffee und Kuchen statt, moderiert von Mohamed Gheem und Peter Küstermann.
Die Veranstaltung war gut besucht, für die Kinderbetreuung wurde gesorgt. Somit konnten sich die Familien intensiv in die Gesprächsthemen einbringen. Erstmals war eine Familie aus Marokko dabei, die erst seit fünf Monaten in Deutschland ist. In den Gesprächen stellte sich heraus, dass der Sohn der Familie an diesem Samstag seinen siebten Geburtstag hatte. Mit einem kleinen Geburtstagsständchen wurde er dann gebührend gefeiert.
Aber zunächst der Reihe nach: An sechs Gruppentischen mit jeweils vier Teilnehmer*innen wurde zunächst das Brettspiel Cafe International aus dem Jahre 1989 gespielt. In diesem Spiel ging es darum, die Vierer-Tische eines Cafés mit internationalen Gästen (jeweils mit zwei Männern und zwei Frauen) zu besetzen. Die Spieler*innen erhielten für die gelegten Plättchen Geldbeträge. Wer am Ende das meiste Geld gesammelt hatte, war Sieger des Spiels.
Dieses Spiel machten allen Anwesenden viel Spaß. Zu Recht gab es Kritik am Brettspiel, welches aus den späten 80er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt und mit einigen Stereotypen und Klischees der damaligen Zeit arbeitet. Europäische Nationen sind verstärkt präsent, während andere Nationalitäten beispielsweise auf einen Kontinent wie Afrika reduziert werden. Das Spiel greift den internationalen Gedanken des Zusammenkommens auf, auch wenn aus heutiger Sicht diverse Ansätze des Spiels diskriminierend sind.
Nach der verdienten Pause bei Kaffee und Kuchen wurde ein Stuhlkreis gebildet und eine Gesprächsrunde zum Thema Familie eingeläutet. Zunächst wurde die aktuelle Situation in Deutschland und anderen europäischen Ländern betrachtet: Tendenz zur Kleinfamilie, in den Städten häufiger hin zur Patchwork-Familie, Ein-Eltern-Familie, während es auf dem Land auch noch die Mehr-Generationen-Familie gibt. Im Westen ist die Tendenz zur Individualisierung und Säkularisierung stark vorangeschritten, während im arabischen Raum die traditionelle Großfamilie viel stärker präsent ist. Hilfestellung bei Not und Krankheit ist eine Selbstverständlichkeit, auch begründet im Islam. Oder in einem weiteren Wortbeitrag: In China in der Tradition des Konfuzius spielt der kollektive Gedanke eine fundamentalere Rolle als in der westlichen Welt.
Darüber hinaus wurde über die Rolle der Frau in der arabischen Welt diskutiert – vor allem im Beispiel Tunesiens seit des Arabischen Frühlings im Jahre 2011. Es gibt einen Aufbruch, der allerdings schwer erkämpft werden muss und vor Rückschlägen nicht gefeit ist. In diesem Zusammenhang wurde seitens der ostwestfälischen Anwesenden ins Spiel gebracht, dass auch in Deutschland Frauenrechte erkämpft werden mussten und eine Gleichstellung noch längst nicht gegeben ist, z.B. bei der Vertretung in den Vorständen großer Unternehmen, im Bundestag oder auch bei der Bezahlung.
Peter Küstermann verwies in diesem Zusammenhang auf die Poetry-Slam-Wettbewerbe. Hier überwiegt in der Regel trotz sehr guter weiblicher Beiträge in den Finals eine deutliche männliche Dominanz: